Diese Aufführung hätte Hermann Kreutz gefallen

Gütersloh (gl). Eine lange Schlange von Menschen, die ins Gotteshaus möchten, wünscht sich wohl jede Kirchengemeinde. Für Sonntag hatte der Bachchor zur Johannespassion von Johann Sebastian Bach in die Martin-Luther-Kirche eingeladen. Die Musikbegeisterten kamen in Scharen.

Unterstützt wurde der Bachchor vom Orchester L’arte del mondo aus Leverkusen. Als Solisten wirkten Anna-Sophie Brosig (Sopran), Bettina Pieck (Alt), Joo-hoon Shin (Tenor, Evangelist), Fabian Kuhnen (Bass, Arien, Pilatus) und Oliver Pürckhauer (Bass, Jesus). Die Leitung des Konzerts lag in den bewährten Händen von Kirchenmusikdirektor Sigmund Bothmann.

Die Johannespassion wurde im Gedenken an Hermann Kreutz aufgeführt, der den Bachchor mehr als 30 Jahre lang geleitet hatte und im Dezember vergangenen Jahres verstorben war. Sein Neffe, Pastor Stephan Kreutz, war aus Bremen angereist.

„Mein Onkel war Musiker durch und durch. Das durften Sie als Bachchor in den mehr als 30 Jahren seines Dirigats stets spüren“, sagte er.

Die Johannespassion gilt als das Bachsche Antrittswerk als Kantor in Leipzig. Das Stück für vierstimmigen Chor, Solisten und Orchester holt weit aus. Es beginnt mit dem Verrat und der Gefangennahme Jesu im Garten Getsemani, führt den Zuhörer über das Verhör durch Pilatus und den Schuldspruch hin auf den Berg Golgatha, auf dem Jesus am Kreuz stirbt.

Als das Volk die Verurteilung Jesu fordert, ist die Dramatik in der Musik spürbar: „Kreuzige ihn“ erschallt es hart, unerbittlich. Besonders eindrucksvoll sind die von den Solisten vorgetragenen Arien, die teils vom Chor begleitet werden. So heißt es nach der Verurteilung Jesu: „Eilt, ihr angefochtnen Seelen, geht aus euren Marterhöhlen, eilt – Wohin? Nach Golgatha. Nehmet an des Glaubens Flügel, flieht – Wohin? Zum Kreuzeshügel, eure Wohlfahrt blüht allda.“

Im Gegensatz zur Matthäuspassion wird der Kreuzweg nicht näher thematisiert. Bach legt sein Augenmerk auf die musikalische Untermalung der Szenen auf Golgatha. Nach Stunden am Kreuz geht die Kraft des Jesus von Nazareth zu Ende. Oliver Pürckhauer haucht ganz zärtlich die letzten Worte Jesu aus: „Es ist vollbracht.“ Der Evangelist kommentiert das Geschehene: „Und er neigte das Haupt und verschied.“

Zugleich laufen das Orchester L’arte del mondo und der Evangelist Joo-hoon Shin zur Höchstform auf. Im gewaltigen Crescendo des Orchesters donnert der Tenor von der Kanzel: „Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stück, von oben an bis unten aus.“ Nachdem der Leichnam Jesu ins Grab gelegt worden war, schließt die Johannespassion mit dem Schlusschoral „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“ und den Worten „Herr Jesu Christ, erhöre mich, ich will dich preisen ewiglich“.

Mitreißend und vielseitig

Gütersloh (gl). Wieder einmal hat Sigmund Bothmann bei der Auswahl der Solisten Fingerspitzengefühl bewiesen. Den Sopran von Anna-Sophie Brosig hätten viele Zuhörer sicherlich gern öfter als in zwei Arien gehört. Und Bettina Pieck begeisterte das Publikum ebenso wie Tenor Joo-hoon Shin, der die

Rezitative des Evangelisten mitreißend interpretierte. Die Bässe Fabian Kuhnen und Oliver Pürckhauer brillierten in ihren Rollen und zeigten sich von ihrer größten Vielseitigkeit. Als die Musiker die Finger von den Instrumenten nehmen, ist das Publikum so ergriffen, dass es einige Zeit dauert, bis ein

erster zaghafter Applaus ansetzt und dann in minutenlangen Standing Ovations aufbrandet. Hermann Kreutz, der die Johannespassion besonders gern aufführte, wäre sicherlich gerührt gewesen.

Jan Hermann Ruthmann, Die Glocke vom 05.04.2022