Gütersloh (gl). Passender als am Abend des Reformationstags hätte das Jubiläumskonzert zum 75. Geburtstag des Bachchors Gütersloh nicht stattfinden können. Fast vergessen schienen die Einschränkungen der Pandemiezeit, als zahlreiche Freunde der Kirchenmusik in der Martin-Luther-Kirche dicht nebeneinander Platz nahmen.

Kirchenmusikdirektor Sigmund Bothmann hebt die Arme und blickt in die konzentriert strahlenden Gesichter seines Chors, den er seit nunmehr 19 Jahren leitet. Mit bebender Energie erklingt „Singet dem Herrn ein neues Lied!“ aus Johann Sebastian Bachs Neujahrskantate BWV 190, die der Komponist in seiner Leipziger Zeit im Jahr 1723 für die Nicolaikirche schrieb. In spürbarer Sangesfreude steigert sich der Chor und lässt den Kirchenraum mit „Herr Gott wir danken Dir!“ erstrahlen

Für die Besucher, unter denen sich Hermann Kreutz befindet, der den Chor mehr als 36 Jahre lang geprägt hatte, ist der Auftritt ein Geschenk des Himmels. Obwohl sich der Bachchor das Geschenk zum Geburtstag selbst beschert, gibt es zu diesem besonderen Anlass Glückwünsche und Grußworte von Bürgermeister Norbert Morkes, Pfarrer Stefan Salzmann und von Welf Sundermann, Vorsitzender des Fördervereins. Einstimmig heben sie das hohe Niveau und den Stellenwert des Bachchors in der heimischen Kulturlandschaft und weit darüber hinaus hervor. Ein Extra-Lob geht an Sigmund Bothmann für seine unermüdliche Förderung des Nachwuchses.

Mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Krönungsmesse“ KV 317 setzt sich der Chor im wahrsten Sinn des Wortes selbst eine Krone auf. Ursprünglich als Teil des Gottesdienstes gedacht, herrscht an diesem Abend überzeugende Konzert-Atmosphäre. Wie so oft erweist sich das Kammerorchester „Larte del mondo“ als exzellenter Partner und vereint Chor, Orchester sowie vier Gesangssolisten in Mozarts festlichem wie kontrastreichen Werk.

Majestätisch ragt am Anfang „Kyrie“ auf. Sauber bewältigt der Chor seinen Einsatz im „Gloria“, eingebettet in sanftem Streicherklang. Obwohl in Mozarts fließender Leichtigkeit komponiert, ist es eine Herausforderung für die Sängerinnen und Sänger. Von Iyrisch-empfindsam bis kraftvoll-ergreifend agiert Carine Maree Tinney und berührt mit ihrem kraftvollen Sopran besonders im „Benedictus“.

Den Texten feinsinnig nachspürend, tragen Ivonne Fuchs mit satt timbriertem Alt, Markus Flaig mit profundem Bass und der weiche Tenor von Georg Poplutz zum Hörgenuss bei. Großartig. Mit schwungvollem, aber nie gehetztem Tempo und mit wundervoll kontemplativen Momenten vermittelt Bothmann ein lebendiges Bild des Komponisten Mozart. Mit langanhaltendem Applaus erklatscht sich das Publikum schlussendlich als Zugabe einen Auszug aus der Krönungsmesse.

Dr. Silvana Kreyer, Die Glocke vom 03.11.2021

Der Gütersloher Bachchor brillierte anlässlich seines 75-jährigen Bestehens mit Musik von Mozart und des Namensgebers.

Gütersloh. Ergreifend, tröstend und aufmunternd, vor allem aber jubilierend war die Musik, die der Bachchor Gütersloh dem Publikum anlässlich seines 75. Geburtstages in der Martin-Luther-Kirche nun schenkte. Dank des überwältigenden Glücksgefühls über den lang ersehnten, unmittelbaren Kontakt zum Publikum waren die letzten schwierigen Monate für mehr als eine Stunde vergessen.

Anerkennende Worte, Wünsche und Geschenke von Bürgermeister Norbert Morkes, der Evangelischen Kirchengemeinde und dem Förderverein des Chores standen am Beginn der Jubiläumsfeier. Berührend waren die Blicke in die Zuschauerreihen – insbesondere aufgrund der Anwesenheit des heute neunzigjährigen Hermann Kreutz, des ehemaligen Chordirigenten. In seinen drei erfolgreichen Dekaden der musikalischen Regentschaft wuchs das Ansehen des Gütersloher Chors kontinuierlich. Brillant entfaltete sich das Ensemble auch in den anschließenden Jahren unter seinem Nachfolger: Sigmund Bothmann pflegt die Tradition leidenschaftlich, wagt allerdings zugleich neue Wege zu gehen, wodurch der Chorgesang auch für jüngere Sängerinnen und Sänger attraktiv bleibt.

Der Musik seines Namensträgers Johann Sebastian Bach widmet sich der Chor mit besonderer Vorliebe, konsequent wurde also auch das Jubiläumskonzert mit der frohlockenden Kantate (BWV 190) eröffnet. Eine nie nachlassende Kraft prägt das feierliche Werk, das mit drei Solisten, vierstimmigem Chor, mit Streichern und mehrfach besetzten Blasinstrumenten, hier des Orchesters „L’arte del mondo“, einem zuverlässigen musikalischen Partner der Gütersloher, anfängt. Sie musizierten fortwährend präzise: die huschenden Streicher mit den schmetternden Bläsern und den feurig zum Gotteslob animierenden Choristen. „Singet dem Herrn ein neues Lied“ (Psalm 149) und „Lobet ihn mit Pauken und Trompeten“ (Psalm 150) forderten sie mitreißend, um später wiederum mit den ergreifend schlichten, einstimmig gesungene Versen aus „Herr Gott, dich loben wir“ von Martin Luther die Zeit nahezu „stehen zu lassen“.

Auch die Wahl der Solisten war geglückt. Der Tenor Georg Poplutz und der Bass Markus Flaig vergeistigten das berühmte Duett „Jesus soll mein alles sein“ mit ihren schönen Stimmen: Es entstand ein anrührend intimer Dialog zwischen einer gläubigen Seele und ihrem Gott. Leichtfüßig sang die Altistin Ivonne Fuchs die zarte Arie „Lobe Zion“, makellos und bezaubernd.

In der nicht weniger jubilierenden „Krönungsmesse“ KV 317 von Wolfgang Amadeus Mozart traten die Solisten, unterstützt durch die reizvolle Stimme der Sopranistin Carine Tinney, erneut in Erscheinung und sangen fabelhaft, perfekt in Intonation und Artikulation. Sigmund Bothmann, der gewohnt sicher und konzentriert führte, schaffte es auch hier, die stimmliche Balance des Chores mit der Achtsamkeit im Zusammenwirken mit den Solisten und dem Orchester zu vereinen. Ausdrucksstark waren die gewichtigen Kontraste, sowohl erhabene Tutti-Ausrufe, wie zu Anfang des Credo, des Sanctus und des Kyrie, als auch besonders intime Episoden, wie im Agnus Dei.

Ein ganz großer Wurf des Dirigenten und aller Mitbeteiligten, den das Publikum zu schätzen wusste und sich deshalb eine lange Zugabe erkämpfte, das größtenteils hochdramatische und akzentfreudige Credo. Ein würdiger Abschluss für ein unvergessliches Jubiläumskonzert.

Eugenie Kusch, Neue Westfälische vom 03.11.2021

Von Simon Bussieweke

Gütersloh (gl). Der größte Gütersloher Chor feiert am Montag Geburtstag. Vor 75 Jahren, am 27. September 1946, wurde der Bachchor gegründet. Damals firmierte er noch unter dem Titel „Evangelischer Bachchor“. Ein Rückblick.

Bestimmt eine Minute lang starrt Sigmund Bothmann in die Luft. Erst legt er das eine Bein über das andere, dann wieder das andere über das eine. „Was sich geändert hat, was sich geändert hat“, murmelt er. Dann schaut er dem Besucher des Hauses der Kirchenmusik in die Augen. „Eigentlich kaum etwas“, sagt er. Seit 1992 leitet Bothmann, ursprünglich aus Regensburg, den Gütersloher Bachchor. Nach wie vor sängen die Männer und Frauen zu Ehren Gottes. Und um die Gemeinde zu erfreuen. Noch immer sei ein Chor einer der wenigen Orte, an denen Menschen zusammenkämen, der als Schmelztiegel der Schichten und Nationalitäten funktioniere.

„Im Knabenchor singt ein neunjähriger syrischer Junge. Sehr talentiert, nächstes Jahr geht er durch die Decke“, sagt Bothmann.

Bei einem Tennis- oder einem Golfclub, selbst im Fußballverein treffe sich eine mehr oder minder homogene Gruppe. Im Chor brauche es keine Schläger, keinen Mitgliedsbeitrag (die Kirche bezahlt den Chorleiter), eigentlich nichts – „außer der schönen Stimme“. Als er 1992 die Leitung des Bachchors übernommen habe, habe er eine Dienstanweisung erhalten, die ihn nicht unbedingt gefreut habe. Wer den Bachchor leite, müsse sich auch intensiv um die Kinderchorarbeit kümmern, hieß es damals (und übrigens auch noch heute) von der evangelischen Kirchengemeinde. In Gütersloh gehören dazu vor allem die Choralsingschule und die Jugendkantorei. „Erst habe ich das nolens volens, wohl oder übel, gemacht. Dann habe ich schnell gemerkt, wie viel von den Kindern zurückkommt“, sagt Bothmann heute.

Die leuchtenden Augen der Jungen und Mädchen, die den Chorgesang für sich entdecken, die richtigen Töne treffen, schwierige Passagen meistern: Sie hätten seine Skepsis weggefegt, sagt Bothmann.

Jetzt, 29 Jahre später, hat er diese Haltung nach wie vor. Immer wieder geht er in zweite und dritte Klassen, um Kinder für den Gesang im Chor zu begeistern – und um Talente zu finden. Auch der Autor dieser Zeilen erinnert sich noch an diesen Tag im Jahr 2003, damals als Neunjähriger in der dritten Klasse, an dem Sigmund Bothmann in den Unterricht kam, um alle Schülerinnen und Schüler die C-Dur-Tonleiter vorsingen zu lassen. Statt die Noten zu benennen, sangen er und seine Klassenkameraden – übrigens einzeln, eine riesige Überwindung – den Text „Bratwurst mit Eis am Stiel“.

Generationen treffen aufeinander

Gütersloh (sib). Es ist die aufwendige Nachwuchsarbeit, die ermöglicht, dass Menschen zahlreicher Altersgruppen sich im Bachchor versammeln. „Wir haben Sängerinnen und Sänger in den 20ern, 30ern, 40ern, 50ern und 60ern. Dann kommt irgendwann die Grenze“, erläutert Sigmund Bothmann. Wer 60 Jahre alt werde, müsse bei einem Vorsingen zeigen, dass die Stimme nach wie vor eine herausragende Qualität habe. Ab diesem Alter lasse die Fähigkeit zum Gesang nach. Das sei ganz natürlich, sagt Bothmann. „Genauso, wie ich nicht mehr so schnell laufen kann, wenn ich älter werde.“

Das Vorsingen selbst sei übrigens für niemanden in den Reihen der Sängerinnen und Sänger des Bachchors ein Problem, sagt Sigmund Bothmann.

Sie lernten von Kindesbeinen an, allein vor anderen zu singen. Das habe einen großen Vorteil: „Sie hören auf ihre Stimme und verschwinden nicht im Tutti, in der Menge.“ Individuelle Fehler könnten nur auf diesem Weg ausgebügelt werden. „Wenn ich den Sängern sage, sie sollen die Lippen runden, um in ihre Kopfstimme zu kommen, dann passt das bei 80 Prozent von ihnen. Bei 20 Prozent funktioniert es nicht auf diese Weise. Das höre ich nicht, wenn immer alle gemeinsam singen“, erklärt Sigmund Bothmann.

Dann kommt der Chorleiter und Kirchenmusikdirektor zumindest einmal kurz auf die Pandemie zu sprechen, winkt aber schon im ersten Satz wieder ab.

„Es hat uns nicht schlimm getroffen. Keine Ausbrüche, die Sänger sind uns treu geblieben. Wir haben jede Gelegenheit beim Schopf ergriffen, die sich uns geboten hat. Konnten Sänger nur einzeln proben, haben wir das gemacht. Dann zu fünft, später zu zehnt.“ Infektionen unter den Sängern habe es nicht gegeben. Ein Grund dafür könne sein, so Bothmann, dass sie sich nicht allzu oft in Situationen begäben, in denen sie sich einem hohen Infektionsrisiko aussetzen. „Denn eins haben viele Musiker gemeinsam. Sie sind keine Partyhasen. Durch die Kneipen ziehen, ja, das habe auch ich während meines Studiums gemacht. Aber Discos bin ich die meiste Zeit ferngeblieben.“

„Das ist ein abgedrehtes Stück“

Gütersloh (sib). Eine große Geburtstagsfeier plant der Bachchor nicht. Einzige Besonderheit zum 75-jährigen Bestehen ist ein Jubiläumskonzert am 31. Oktober. Lediglich ein gemütliches Beisammensein sei geplant, sagt Sigmund Bothmann. Mit den Sängerinnen und Sängern, dem Vorsitzenden des Fördervereins, mit Stefan Salzmann als Presbyteriumsvorsitzenden. Eingeladen sei auch Hermann Kreutz, ehemaliger Leiter des Bachchors, der Mitte des Monats 90 Jahre alt geworden ist (diese Zeitung berichtete). Mehr lasse allein die Pandemie kaum zu.

Jetzt aber noch eine Frage, eine klassische zum Jubiläum. Sigmund Bothmann hatte kurz zuvor gesagt, der Bachchor singe zu Ehren Gottes und für die Gemeinde.

Er hatte auch gesagt, das müsse und könne nicht immer Spaß machen, sei mitunter Schwerstarbeit, durch manche Stücke müssten sich die Sängerinnen und Sänger durchbeißen. Also, Herr Bothmann: Bei welchem Stück brauchten die Musiker besonders harte Zähne?

So lange der Chorleiter überlegt, wenn es um Veränderungen in der Chorlandschaft geht, so schnell schießt jetzt eine Antwort aus ihm heraus: „A Vision of Aeroplanes“. Das Stück, komponiert vom Postromantiker Ralph Vaughan Williams, für Chöre und nach einem Bibeltext, sei „wahnsinnig schwer“, betont Bothmann. 2011 brachte der Bachchor es in der Martin-Luther-Kirche zu Gehör.

Nach den Proben hätten sich die Sänger regelmäßig kollektiv den Schweiß von der Stirn wischen müssen, sagt Sigmund Bothmann. Noch immer gebe es den einen oder anderen Spaßvogel, der frage: „Können wir das nicht mal wieder singen?“ Glücklicherweise gebe es genug Gegenstimmen. Das Urteil des 57-Jährigen: „Das ist ein so abgedrehtes Stück, der blanke Wahnsinn.“

Dass der Chor in 25 Jahren seinen 100. Geburtstag feiert, dann also noch besteht, daran hegt Bothmann keine Zweifel. Egal, welche Verlockungen der Alltag mit sich bringe: „Gesang wird immer Menschen anziehen.“

Chronologie

1946: Eduard Hans Martin Gottfried Büchsel, Organist, Kantor und Kirchenmusiker, gründet den Evangelischen Bachchor. Nach kurzer Zeit zählt er 100 Mitglieder.

1957: Eduard Büchsel lässt den Chorgesang hinter sich. Er will sich lieber dem künstlerischen Orgelspiel widmen und sucht einen Nachfolger. Hermann Kreutz übernimmt die Rolle des Chorleiters. In den Folgejahren erlangt der Bachchor überregionale Bekanntheit.

1961: Der Evangelische Bachchor wird umbenannt in Bachchor Gütersloh – auch wenn er nach wie vor zur evangelischen Kirchengemeinde gehört.

1964: Mehrere Rundfunkgesellschaften, darunter WDR und NDR, werden auf den Bachchor aufmerksam. Sie nehmen zahlreiche a-capella-Stücke der Gütersloher Sänger auf.

1968: Der Bachchor nimmt eine Langspielplatte mit Bachchorälen auf – der Auftakt für viele weitere Tonträger.

1970: Der Bachchor kommt ins Fernsehen. Hermann Kreutz gestaltet regelmäßig offene Singen im WDR.

1990: Krankheitsbedingt gibt Hermann Kreutz das Ensemble an die beiden Bachchor-Sänger Wolfgang Jungekrüger und Carl Theodor Hütterott ab – übergangsweise.

1992: Sigmund Bothmann wird Chorleiter. Er bringt mehr Bach in die Chorarbeit und gestaltet mit den Sängern das gesamte Weihnachtsoratorium.

1993: Der Bachchor-Förderverein gründet sich.

2004: Unter Sigmund Bothmann führt der Bachchor die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach auf. Dabei kommen auch historische Instrumente zu Gehör.

2005: Bothmann wird zum Kirchenmusikdirektor ernannt. Über die Jahre nimmt der Bachchor an zahlreichen Musikwettbewerben teil – unter anderem am Westfälischen Musikfest (1994) und am Europäischen Chorfestival (1996 und 2005).

Leiter Sigmund Bothmann erzählt der NW, warum der Bachchor Gütersloh in der 1. Liga spielt, wie Corona überwunden wurde und warum er doch Zukunftssorgen hat.

Herr Bothmann, der Bachchor Gütersloh ist einer der herausragenden Chöre in der Region. Um es Laien verständlich zu machen, mal ein Fußballvergleich. In welcher Liga spielt der Bachchor?

SIGMUND BOTHMANN: Das lässt sich ganz schwer vergleichen, weil wir ja im Amateurbereich unterwegs sind. Außerdem hängt beim Chorgesang die qualitative Einordnung oft nicht mit der Bezahlung zusammen. Aber im Bereich der Amateure befindet sich der Bachchor sicherlich in der 1. Liga.

Der Chor war 35 Jahre lang geprägt durch Hermann Kreutz, bevor Sie ihn 1992 übernommen haben. Wie haben Sie den Chor damals vorgefunden?

Ich habe den Chor in einem sehr guten Zustand vorgefunden. Ich fand auch das ganze Umfeld so, dass ich mich erstens hier gerne beworben und dann auch gearbeitet habe. Der Chor war in einem guten Zustand und ausreichend groß, um den gesamten Bereich an Literatur abzudecken, die auf einen solchen Chor zukommt. Ich fand den Chor auch stilistisch gut gebildet, auch die Arbeitsbedingungen waren rundum gut, das hat mir alles schon sehr behagt. Und der Blick in die Bibliothek offenbarte eine Literatur, die sehr einfallsreich und fundiert ausgewählt war, nicht nur traditionell, sondern sehr progressiv.

Inwiefern konnten Sie auf die Arbeit von Herrn Kreutz aufbauen, was haben Sie geändert?

Ich konnte insofern darauf aufbauen, als dass Hermann Kreutz überhaupt auf Klang sehr großen Wert gelegt hat. Wie ich das auch getan habe. Aber natürlich prägt jeder Chorleiter sein eigenes Klangideal. Bei Herrn Kreutz war das sehr ausgeprägt, deshalb hatte jedes Chormitglied einen besonderen Klangsinn, auf den ich dann aufbauen konnte, auch wenn man dann etwas anderes macht, was ich dann auch gemacht habe.

Der Bachchor ist bei der evangelischen Kirchengemeinde angesiedelt. Doch die Gesellschaft wird säkularer. Versteht sich der Bachchor Gütersloh noch als Instrument der Verkündigung oder ist er mehr zu einem Konzertchor geworden?

Der Bachchor versteht sich als Instrument der Verkündigung, schöner kann man das gar nicht sagen. Wir singen zur Ehre Gottes und zur Freude der Gemeinde. Dafür sind wir da, nach wie vor. Die Gesellschaft ist zwar säkularer geworden. Es gibt vielfältige Bemühungen der evangelischen Kirche, auch in Gütersloh, jene Leute zu erreichen, die der Kirche fern stehen. Der Bachchor Gütersloh hat aber immer schon einen guten Kontakt gehabt zu Menschen, die ein besonderes Angebot gesucht haben.

In diesem Fall die Verkündigung auf musikalisch höchstem Niveau. Bach wird ja gerne als fünfter Evangelist bezeichnet. Und viele Menschen auch in Gütersloh sagen, dass für sie erst Weihnachten beginnt, wenn sie Bachs Weihnachtsoratorium gehört haben. Das hat nichts mit uns zu tun, sehr wohl aber mit der Wirkung Bachscher Musik. Gute Kirchenmusik kann Freude und Trost spenden, aber auch Menschen wieder an Gott glauben, die damit eigentlich Schwierigkeiten haben.

Inwiefern wirkt sich die genannte Entwicklung auf Ihre Arbeit aus?

In dem Maße, wie die Kirchensteuer durch Kirchenaustritte zurückgehen, bekommen wir auch von der Kirchengemeinde weniger Geld für unsere Arbeit zur Verfügung gestellt, das ist ja klar. Das ist über die Jahre weniger geworden, zumal es keinen Inflationsausgleich gibt. Aber ich sehe die Menschen nicht als weniger religiös an. Ich glaube nur, dass wir als Kirche nicht mehr diese Bindungskraft haben. Wenn also Menschen, die der Kirche eigentlich fern stehen, ein Konzert von uns besuchen, dadurch auch ihre religiösen Bedürfnisse befriedigen, unabhängig davon, ob sie Kirchensteuer bezahlen oder nicht. Deshalb müssen wir davon, was wir gut machen, auch mehr machen.

Wie sieht es mit der Nachwuchsarbeit aus? Kommen aus Choralsingschule, Jugendkantorei und Knabenchor genügend frische Stimmen nach?

Auf jeden Fall. Wir müssen jetzt die Coronazeit ausblenden, weil wir da keinen Kontakt zu den Schulen hatten. Aber wir waren jetzt in vier Grundschulen unterwegs, da konnten wir schon zehn Mädchen und vier Jungen gewinnen. Das sind schon gute Zahlen, wenn man bedenkt, dass noch elf Schulen ausstehen. Der Bachchor ist durch die intensive Nachwuchsarbeit ein junger Chor geworden. Hätten wir den Knabenchor hier nicht, hätten wir keine adäquate Männerbesetzung.

Die Pandemie hat die Arbeit vieler Chöre nahezu unmöglich gemacht. Ist auch beim Bachchor alles zum Erliegen gekommen? Wie haben Sie sich über die Zeit gerettet?

Bei uns ist gar nichts zum Erliegen gekommen. Es hat immer die Möglichkeit des Einzelunterrichts gegeben, da ich mich nicht nur als Chorleiter, sondern auch als Gesangslehrer verstehe. Ab Mai 2020 haben wir dann in Fünfergruppen gesungen und mehrere schöne musikalische Andachten aus dem „Schwanengesang“ von Heinrich Schütz aufgenommen, die man sich nun bei YouTube ansehen kann.

Da unsere Chormitglieder daran gewöhnt sind, auch einzeln selbstständig vorzusingen und nicht den Nachbarn als Stütze benötigen, konnten wir diese Aufnahmen auch mit zwei Metern Abstand machen.

Wie sehen die nächsten Pläne aus? Auf www.bachchor-gt.de konnte ich nichts finden.

Das liegt daran, dass die Seite bald umzieht auf den Account der Kirchengemeinde. Das ist seit drei Wochen überfällig. Wir machen am 31. Oktober ein schönes Konzert mit einer super Solobesetzung mit Ivonne Fuchs, Carine Tinney, Markus Flaig und Georg Poplutz. Da machen wir die Bach-Kantate „Singet dem Herrn ein neues Lied“ sowie die Krönungsmesse von Mozart. Der Chor hat nämlich gesagt: Wir wollen was Heiteres singen, such‘ bloß nichts Trauriges aus. Und da ist die Krönungsmesse so lustvoll und gutmütig und freudvoll, deshalb singen wir die.

Ist das das Jubiläumskonzert?

Nein, eigentlich hatten wir nämlich die h-Moll-Messe von Bach aufführen wollen, aber unter den Coronabedingungen war das dann doch leider nicht möglich. Und zu Weihnachten gibt es die ersten vier Kantaten aus dem Weihnachtsoratorium. Volle Lotte.

Was gibt es noch für Pläne?

Wir werden noch die Henze-Oper „Pollicino“ zum 200. Stadtgeburtstag 2025 aufführen, da sind der Bachchor, die Choralsingschule und der Knabenchor dabei. Das wird den Nachwuchs stark beleben. Ich bin noch zehn Jahre hier tätig. Und natürlich macht man da Pläne und hat Ideen, aber wegen der Pandemie ist das liegengeblieben. Ich hatte mir gewünscht, alle 200 überlieferte Kantaten von Bach aufzuführen, aber das wird mir wohl nicht mehr gelingen.

Und wo steht der Bachchor Gütersloh in 25 Jahren?

Es hängt von der Entwicklung der eben genannten Umstände ab, wie es weiter geht. Der Bachchor hat seit 1993 einen Förderverein. Zudem wird er von Bertelsmann und der Sparkasse unterstützt. Und es gibt immer wieder Spenden von Einzelnen, auch sehr großzügige. Aber es hängt davon ab, in welchem Maße die Kirchensteuer zurückgeht und wie viel davon noch für die Kirchenmusik und unsere intensive Nachwuchsarbeit bleibt. Deshalb kann ich nicht sagen, ob der Bachchor auch noch seinen 100. Geburtstag feiern wird. Das wissen wir alle nicht. Aber wünschen würde ich mir das natürlich schon sehr.

Das Gespräch führte Matthias Gans

Gütersloh (gl). Jubelnder Applaus in der Gütersloher Martin-Luther-Kirche: Es war Claudio Moteverdis „Marienvesper“, ein Meisterwerk geistlicher Musik, das am Sonntag überfüllten Kirchenraum zum Beben brachte – dank dem Bachchor, dem Bachorchester und Solisten, die unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Sigmund Bothmann auf höchstem Niveau agierten.

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